aus: zitty 23/81 vom 3o.lo. bis 12.11.81
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Ute Büsing, Fotos Ali Paszensky

Während der wohnungspolitisch konzeptlose CDU-Senat seine Unfähigkeit die vielzitierte „wirkliche Wende" herbeizuführen, hinter einem gigantischen Neubauprogramm versteckt (39.000 Neubauwohnungen sollen in der laufenden Legislaturperiode entstehen), basteln die Instandbesetzer an konkreten Nutzungskonzepten für "ihre" Häuser.

Anders als Bausenator Rastemborskis Neubauprogramm, das 12-14 Milliarden DM verschlingen wird, die vor allem durch Einsparungen im Sozialbereich zusammengekratzt werden müssen, zeigen die Instandbesetzerkonzepte, wie gute Altbausubstanz mit Investitionen weit unter der Millionen-Grenze zu erhalten sind.

ZITTY stellt an zwei Beispielen — dem Bauhof in der Manteuffelstraße in Kreuzberg und der Prinzenallee 58 im Wedding — vor, wie weit die Konzeptdiskussion und -realisierung in Besetzerkreisen fortgeschritten ist.

Zum Beispiel: Prinzenallee 58

Soziale Nachbarschaftspflege

Prinzenallee 58 im Wedding. Am 27. Februar wurde das Hinterhaus (Hofgebäude) des 1899 als Fabrik errichteten Klinkersteinbaus von einer zunächst 15köpfigen Gruppe besetzt, um es vor dem sicheren Abriß zu bewahren. Das Objekt — Eigentümerin ist die Panke-Park-Wohnungsbaugesellschaft mbH & Co., eine der vielen Gesellschaften der Spekulationsfirma Hauert & Noack — war seit Jahren systematisch entmietet worden. Bei der Besetzung lebten noch 15 legale Mietparteien in dem 1933 in ein Wohngebäude von insgesamt 67 Wohneinheiten mit 1 1/2- bis 2-Zimmerwohnungen mit Innentoilette, Bad und Zentralheizung umgewandelten Haus.

Die ehemaligen Fabrikräume im Erdgeschoß, an die sich zur Panke hin eingeschossige Fabrikhallen anschließen,
standen ebenfalls leer. Nach den Plänen von Hauert & Noack soll nach dem Abriß des Wohnhauses ein Neubau mit gleichwertigem Wohnraum entstehen, aber die Zweizimmerwohnungen sollen dann statt der bisherigen 200.- DM Miete fast das Dreifache kosten. Vorläufig ist der Abriß des Hofgebäudes gestoppt und der Senat hat die Spekulationsfirma aufgefordert, das Hofgebäude sowie das Vorderhaus mit Seitenflügel instandzusetzen.

Die durchgreifenden, Instandsetzungsarbeiten am Hofgebäude haben die Besetzer in Eigeninitiative übernommen, während Instandsetzungsarbeiten am Vorderhaus und am Seitenflügel, in dem mehrere gut erhaltene Wohnungen seit über einem Jahr leerstehen, durch das Unternehmen auf sich warten lassen.

Senatsplanung im Block

Hintergrund für die Entmietungspraktiken und Abrißabsichten ist die Senatsplanung für den Block Prinzenallee, Gotenburger Straße, Panke und Soldiner Straße, die mit der Umwidmung von ursprünglich als Gewerbegebiet ausgewiesenen Grundstücken in Wohngebiet und der damit verbundenen Bodenwertsteigerung von über 100 Prozent den Absa(h)nierern Hauert & Noack zugute kommt.

An der Soldiner Straße sollen bis zu acht Stockwerken hohe Betonbauten entstehen, für die eine Baudichte über das Doppelte des normal Zulässigen hinaus erlaubt worden ist. Für die Bewohner der neuen Mietskasernen sollen zur Panke hin Einstellplätze errichtet werden, deren Bau sowohl die eingeschossigen Werkhallen der Prinzenallee 58 als auch der Garten hinter dem Haus weichen müßten. Der Abriß der Hallen soll in allernächster Zeit erfolgen; ein Teil, der die Hallen mit dem Wohngebäude verbindet, ist von einem Bagger bereits am 22. September (die Räumung der Hermsdorfer Straße 4, bei der sich fast alle Besetzer der Prinzenallee aufhielten, wurde ausgenutzt) unwiederbringlich zerstört worden.

Das Schaffen vollendeter Tatsachen durch den Hallenabriß ist umso unverständlicher, als der Neubaukomplex frühestens 1983 bezugsfertig ist und außerdem an der Ecke Prinzenallee/Soldiner Straße bereits eine Tiefgarage mit 26 Einstellplätzen genehmigt ist. 

Besetzers Nutzungskonzept

Die auf 70 Erwachsene und 11 Kinder angewachsene Besetzergruppe hat ein Nutzungskonzept entworfen, das in seiner Präzision kaum zu übertreffen ist. Es schlägt die Planungen der Absa(h)nierer in seiner Ausrichtung auf die Erhaltung guter Bausubstanz und die Einbeziehung der Kiezbewohner um Meilen.

Unterschiedlichste Wohnvorstellungen von Einzelwohnungen über Wohn- bis hin zu Flurgemeinschaften kommen in dem neuen Nutzungskonzept für das Wohngebäude, dessen Realisierung bereits tatkräftig angegangen wird, zum Tragen. Gemeinsamer Wunsch aller Besetzer ist, eine Hausgemeinschaft zu bilden, in der Kinder ebenso integriert sind wie alte Menschen. 

Über 100.000 DM (reine Materialkosten) größtenteils aus Eigenmitteln sind bereits in die Instandsetzung des Hauses investiert worden. Eine der ersten Arbeiten nach der Besetzung war die Dachreparatur, um das durchlässig gewordene Dach winterfest zu machen. Einen zentralen Stellenwert in den Instandbesetzerplänen, die gemeinsam mit einem Architekturstudenten der Hochschule der Künste erarbeitet wurden, nimmt die Wärmedämmung und Energiekosteneinsparung ein. 

Eine präzise Wärmebedarfsberechnung macht es möglich, daß der Heizölverbrauch gegenüber dem Vorjahr um 32,5% (das heißt 21.740.- DM) gesenkt werden kann. Die Einsparungen werden durch Rohrleitungsdämmungen, Reduzierung von Küchen und Bädern, Aufdoppelung der Fenster, Dichten von Fensterfugen in Wohnräumen, Küchen und Bädern, Abdichten der Heizkörpernischen und den Einbau einer Schaltuhr für Unterbrechung der Warmwasserzufuhr und Nachtabsenkung erreicht. Wenn die Besetzer es noch rechtzeitig schaffen, an der Nord- und Südseite Öfen aufzustellen, gelingt ihnen die volle Einsparung.
Da alle diese zum großen Teil bereits erfolgten Arbeiten in Selbsthilfe durchgeführt werden, fallen keine Lohnkosten an.

Kiezprojekte

Vorrang für die Besetzer haben derzeit die Arbeiten zur Winterfestmachung des Hauses; langfristige Maßnahmen zur Energieeinsparung sind wegen des hohen Mittelaufwandes nur nach erfolgter Legalisierung mit öffentlichen Geldern zu leisten.
Zu den 'kurzfristigen' Maßnahmen gehören neben der Abdichtung des Flachdaches vorwiegend die Instandsetzung von über 300 Fenstern, von denen 160 Einfachfenster aufgedoppelt werden und der zügige Auf- und Ausbau der Wohneinheiten. 

Auf den 2000 Quadratmetern Nutzfläche in den Büro- und Fabrikräumen im Erdgeschoß haben verschiedene Projekte ihre Arbeit bereits aufgenommen:

  • Ausbauwerkstatt:    Hier wird derzeit am eifrigsten an der Instandsetzung und Instandhaltung des Hauses gearbeitet. (Anschaffung, Wartung und Anleitung von Werkzeugen.)

  • Kultur AG: Zunächst monatliche, später wöchentliche kulturelle Veranstaltungen wie Film-, Video-, Hörspiel-, Theater-, Musikund Literatur-Vorführungen werden geplant und durchgeführt.

  • Videogruppe: Sie hat zunächst den Auf- und Ausbau des Hauses dokumentiert und will künftig mit Gewerbeschein zur "Beratung, Herstellung und Vertrieb von Video" arbeiten.

  • Kinderladen: Kinder zwischen zwei und fünf Jahren tummeln sich in drei Räumen des Erdgeschosses und erobern sich Hof und Garten.

Außerdem sind in den entrümpelten Kellerräumen Übungskombüsen für Musikgruppen entstanden; eine Fahrrad- und Motorradwerkstatt sind im Aufbau.

Auf dem Planungsprogramm stehen noch eine Eltern-Initiativ-Tagesstätte für Säuglinge und Kleinkinder; ein medizinischer Stadtteilarbeitsladen mit diversen Beratungs- und Selbsthilfeangeboten; die Bürgerinitiative Putte e.V. plant in den Wohnräumen des Erdgeschosses eine therapeutische Wohngemeinschaft zur Rehabilitierung und Integration türkischer Jugendlicher; einen besonderen Stellenwert wird künftig das Beratungsbüro für Instandsetzung und Modernisierung einnehmen, in dem ein Rechtsanwalt Mieterberatung durchführt; die evangelische Kirchengemeinde interessiert sich für die Nutzung von Räumen für ihre Jugendarbeit.

Auf dem Gartengelände zur Panke hin, das die Besetzer durch Umsetzen eines Zaunes bereits für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben, sollen eine Kiezküche und ein Cafe eingerichtet werden. Das "Probe"-Cafe in den Sommermonaten wurde von den Anwohnern, bereits rege genutzt.

Wohnraumschutzverein

Um die Forderung nach Selbstbewirtschaftung und -verwaltung des Hauses zu unterstreichen, als eine juristische Person auftreten zu können und damit statt Einzelmietverträgen einen Pachtzins- und Nutzungsvertrag für das gesamte Haus abschließen zu können, wurde ein "Verein zum Schutz billigen Wohnraums" gegründet. Das juristische Vehikel hat zum Ziel die "Durchführung exemplarischer Projekte zur Erprobung neuer Wohn-, Arbeits- und Freizeitformen" und die "Erhaltung gegebener Blockstrukturen und Architektur", um im Sinne einer, "sozialen Nachbarschaftspflege" das "Zusammenleben der Bewohner zu fördern".

Obschon die Besetzer der Prinzenallee Senat, Bezirksamt und Hauert & Noack auffordern, ihnen auf der Berechnungsgrundlage der Altbaumietenverordnung Nutzungsverträge für mindestens 15 Jahre bei Selbstverwaltung zu geben, wollen sie solange nicht verhandeln, wie weiterhin Häuser geräumt werden. Sie beziehen sich damit auf die gemeinsame Grundlage aller besetzten Häuser im Wedding, einen Beschluß des Bezirksbesetzerrates.

Dort heißt es: ". . . es kann nur eine Gesamtlösung geben. Gesamtlösung heißt hier nicht ein für alle Häuser umfassendes Vertragswerk, sondern eine Lösung der Probleme, die zu Hausbesetzung und zu der jetzigen gespannten Situation geführt haben. (...) Erst wenn in diesen Bereichen (Legalisierung von Instandbesetzung, Selbstbestimmung und Planungsautonomie, Amnestie, d. Red.) zufriedenstellende Ergebnisse vorliegen, werden die einzelnen Häuser autonom über ihre Form der Nutzung mit den zuständigen Institutionen und Gesellschaften verhandeln". 

Ute Büsing

Weitere Infos:

1981-89_pa58_presse

1981-06-23_das-glueck_pe

1982_03_das_glueck_braucht_ein_zuhause

1983_es_geht_auch_anders