Misslungene Solidarität
Wie bewerten Sie die staatliche Verantwortung und Solidarität gegenüber Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie?
Die Presseerklärung "Solidarität und Verantwortung in Zeiten der Corona-Krise" zeigt deutlich, dass gut gemeinte moralische Vorstellungen ins Gegenteil umschlagen können, wenn man die Entwicklungsvoraussetzungen für Jugendliche kulturell nicht berücksichtigt.
Pressemitteilung 04/2020: Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise
Die gegenwärtige Pandemie stellt unsere Gesellschaft vor beispiellose Herausforderungen und führt zu schwerwiegenden ethischen Konflikten.
Der Deutsche Ethikrat unterstützt die Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen, auch wenn sie allen Menschen in diesem Land große Opfer abverlangen. Freiheitsbeschränkungen müssen jedoch kontinuierlich im Hinblick auf die vielfältigen sozialen und ökonomischen Folgen geprüft und möglichst bald schrittweise gelockert werden.
Der Ethikrat möchte mit seiner Ad-hoc-Empfehlung "Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise" ethische Orientierungshilfe bieten, sowohl für den schwierigen Abwägungsprozess als auch für die dramatischen Handlungs- und Entscheidungssituationen im Gesundheitssystem.
Der maskierte Corona-Skandal
In unserem kulturellen Umfeld übersehen wir oft, dass die aktuellen Krisen nicht allein durch höheren Druck auf die Schüler zur Bildung ihrer Kompetenzen bewältigt werden können. Es geht darum, Jugendlichen einen Weg zu eröffnen, sich aktiv an kulturellen, dialogischen Lernprozessen zu beteiligen, um auf kommunikative Weise widerstandsfähige, demokratische Gesellschaftsstrukturen aufzubauen.
Die bestehenden Machtverhältnisse haben Muster geschaffen, die sich im Laufe der Zeit als gemeinsames kulturelles Wertesystem verfestigt haben.
Dieses Wertesystem wird zu einem festen Rahmen, den wir als unumstößlichen Kulturraum wahrnehmen.
Schon Darwin wies darauf hin, dass die Prägung im kindlichen Gehirn stark ist, wenn Kindern ständig der Glaube an Gott nahegelegt wird.
Dies könnte dazu führen, dass es genauso schwer wird, diesen Glauben loszulassen, wie es für einen Affen wäre, seine angeborene Angst vor Schlangen zu überwinden.
(Quelle: Das ideologische Gehirn: Wie politische Überzeugungen wirklich entstehen ...
von Leor Zmigrod
Fehlende oder übergriffige Aufmerksamkeit kann zu mangelnder Solidarität und Vertrauensverlust führen und den gemeinsamen Kulturraum auf traumatische Weise vergiften.
Es ist wichtig, Alternativen zu den bestehenden gesellschaftlichen Mustern zu schaffen, die oft von Propaganda beeinflusst sind und zu simplen, nicht zukunftsfähigen Lösungen führen.
Die Bedeutung der "Lebenszeit" von Jugendlichen für den kulturellen Lernprozess einer Klima-Digital-Transformation wird oft vernachlässigt.
Fazit
Die Corona-Pandemie hat die Schwächen in unserer gesellschaftlichen Struktur offengelegt. Jugendliche brauchen mehr als nur Druck und Einschränkungen; sie benötigen aktive Teilnahme an kulturellen Prozessen, um eine widerstandsfähige Gesellschaft zu formen.
Nur durch das Schaffen neuer, zukunftsfähiger Muster können wir eine solidarische und verantwortungsbewusste Gemeinschaft aufbauen.
Leor Zmigrod gilt mit nur 29 Jahren als Begründerin eines neuen Wissenschaftsfelds: der politischen Neurobiologie.
Darin erforscht sie den Zusammenhang zwischen politischen Einstellungen und der Biologie unseres Gehirns.
Im Gespräch mit Farangies Ghafoor vom Tagesspiegel zeigt sie auf, dass unsere Überzeugungen nicht als flüchtige Gedanken losgelöst von unseren Körpern existieren.
Vielmehr verändern Ideologien unser Gehirn.
Gleichzeitig macht eine bestimmte neurobiologische Veranlagung empfänglich für gewisse Glaubenssätze.
Mit einem einfachen Kartensortier-Experiment kann sie beispielsweise erschreckend genau auf die Weltsicht ihrer Probanden schließen.
In zahlreichen weiteren Experimenten beweist sie den Zusammenhang zwischen extremen politischen Positionen und unserem Gehirn und revolutioniert damit unsere Vorstellungen von Radikalisierung, Extremismus und demokratischer Meinungsbildung.
„Das ideologische Gehirn“ leistet unverzichtbare Aufklärung in Zeiten maximaler Polarisierung.
Die Wissenschaftlerin und Pionierin der politischen Neurobiologie Leor Zmigrod etabliert ein neues Verständnis davon, wie unsere Überzeugungen entstehen und was wirklich helfen kann, im Kampf gegen das, was unsere Demokratie grundlegend gefährdet.
Gefahren "einseitiger" digitaler Aufmerksamkeit
Am 3. Mai 2004 kenterte ein Boot mit 60 Passagieren auf dem Lake Travis in Texas. Das gemietete Doppeldecker-Boot näherte sich einem FKK-Strand, und alle Passagiere neigten sich auf eine Seite.
Dadurch verlor das Boot das Gleichgewicht und kenterte. Zwei Personen wurden verletzt und mussten ins Krankenhaus.
Taucher durchsuchten das Wrack aus Vorsichtsgründen.
Dieses Ereignis zeigt symbolisch, wie ein gemeinsamer "Kulturraum" ins Wanken geraten kann, wenn individuelles Verhalten ohne Reflexion und Kommunikation kollektiv synchronisiert wird.
Wahrnehmung und Herkunft
Unsere Wahrnehmung verrät viel über unsere Herkunft.
In ein und demselben Bild sehen Menschen oft unterschiedliche Dinge, abhängig davon, woher sie kommen.
Eine Studie der Harvard University und der London School of Economics zeigt dies deutlich. Bei der sogenannten Coffer-Illusion sahen 81 Prozent der Betrachter aus den USA und Großbritannien nur Rechtecke.
Dagegen nahmen 48 Prozent der Menschen aus namibischen Dörfern nur Kreise wahr.
Weniger als zwei Prozent der Namibier sahen ausschließlich Rechtecke.
Keiner der Teilnehmer aus den USA oder Großbritannien sah nur Kreise.

Wahrnehmung: Was du siehst, verrät, wo du herkommst - Spektrum der Wissenschaft
Ein Beispiel für Synchronisation in der Natur ist der Mond.
Er dreht sich während seiner Umlaufbahn um die Erde genau einmal um seine eigene Achse.
Daher zeigt er uns immer dieselbe Seite. Obwohl die "Rückseite" oft als "dunkle Seite" bezeichnet wird, ist sie nicht immer dunkel.
Mein Algorithmus und Ich
Markus Gabriel und Daniel Kehlmann über den Menschen im Zeitalter der KI
01.07.2025
Eröffnungsveranstaltung der phil.COLOGNE am 26. Juni 2025
Daniel Kehlmann (zuletzt erschienen: „Lichtspiel“) ist nicht nur ein gefeierter Schriftsteller. Er ist ein hellwacher Beobachter der galoppierenden technologischen Entwicklungen, die unser aller Leben zunehmend bestimmen.
Und er warnt auch öffentlich vor möglichen Gefahren der Künstlichen Intelligenz („Mein Algorithmus und Ich“), sieht insbesondere die Kunst bedroht und mahnt: „Noch kann man etwas unternehmen. Aber wahrscheinlich nicht mehr lange.“
Der Philosoph und Erkenntnistheoretiker Markus Gabriel („Gutes tun. Wie der ethische Kapitalismus die Demokratie retten kann“) beschäftigt sich in seiner Arbeit mit Realität, Bewusstsein und dem Verhältnis von Welt und Ich, von Mensch und Maschine.
Beide besprechen, was der Siegeszug der KI bedeutet:
für unsere Schöpferkraft, die Ordnung der Gesellschaft, für die Demokratie, für unser Menschsein. Und sie fragen nach dem richtigen Umgang mit der Technik.
Demokratie im Ernstfall
Robert Habeck und Florian Schroeder im Gespräch
Udo Keller Stiftung Forum Humanum
Veranstaltung auf der phil.COLOGNE am 23. Juni 2025
Klimakrise, geopolitische Konflikte, soziale Ungleichheit – wir leben in einer Epoche der Überforderung, in der alte Gewissheiten brüchig geworden sind. Robert Habeck, Philosoph und Ex-Bundesminister, bewegt sich wie kaum ein anderer an der Nahtstelle zwischen politischer Praxis und theoretischer Reflexion. Seine Bücher (zuletzt: „Den Bach rauf“) kreisen um Fragen der Haltung, der Sprache und der Integrität in der Politik – jenseits bloßer Machttaktik.
Ihm gegenüber sitzt Florian Schroeder, Kabarettist, Publizist und kluger Kommentator des öffentlichen Diskurses.
Beide fragen: Was kann Politik heute noch leisten?
Wie bewahren wir im Lärm der Meinungsmärkte die Fähigkeit zur Auseinandersetzung?
Wie lässt sich Freiheit denken, wo Sicherheit verlangt wird?
Und: Gibt es einen Weg zurück zu einem Diskurs, der nicht nur vom Rechthaben, sondern vom Verstehen geprägt ist?
Foto: Katja Tauber
Marina Weisband –
Echte Bildung!
Marina Weisband, Beteiligungspädagogin und Demokratieaktivistin, betont, dass Bildung mehr sein muss als das Erfüllen von Prüfungen und Curricula.
Kinder brauchen die Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Sie sollen ihre Neugier erkunden, im sozialen Kontext lernen und Selbstwirksamkeit erfahren.
Auch die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ändern wenig an diesen Grundproblemen, solange die Schule ihre Aufgabe nicht neu denkt.
KI zwingt dazu, Hausaufgaben neu zu gestalten. Gefährlich wird sie, wenn sie das Denken und Formulieren vollständig übernimmt.
Die Schule muss daher Räume schaffen, in denen echtes gemeinsames Lernen möglich ist, jenseits von starren Fächern und Prüfungsdruck.
Es ist der Kleinmut, den wir verlernen müssen.
Mut, das eigene Umfeld zu gestalten, entsteht im Praktischen, im Nahen, im Gemeinsamen. Wer verlernt, groß zu denken, bleibt beim Wunsch nach mehr Klopapier auf der Schultoilette stehen.
Doch auch das kann der erste Schritt zu echter Veränderung sein, wenn daraus die Erfahrung von Wirksamkeit wächst.
Im Zeitalter von KI und digitaler Disruption stellt Marina die entscheidende Frage: Welche Gesellschaft wollen wir?
Was bleibt unser menschlicher Kern, wenn wir Routine an Maschinen auslagern?
Die Antwort liegt nicht in weiterer Standardisierung und Kontrolle, sondern im Vertrauen auf die Fähigkeit, sich immer wieder selbst und gemeinsam zu erneuern.
Das Große entsteht aus dem Kleinen, und jede Hoffnung beginnt in der gelebten Nähe.
